Erschließungsbeiträge: Verband setzt sich im Landtag für bürgerfreundliche Fristen ein Landesregierung will Gesetz aus dem letzten Jahr wieder kippen

Erschließungsbeiträge treffen in der Praxis oft die Falschen. Das berichtete der Verband Wohneigentum im Rahmen einer Experten-Anhörung am 3. März 2023 den Mitgliedern des Kommunalausschusses im Landtag NRW. Er forderte daher: Die Landesregierung muss an einer Frist festhalten, die eine Erhebung der meist fünfstelligen Beiträge 25 Jahre nach Baubeginn der Straßen unmöglich macht.

Baustelle mit Neubauten  © Verband Wohneigentum NRW e.V.
In einer Landtagsanhörung setzte sich der Verband Wohneigentum NRW für bürgerfreundliche Fristen bei der Abrechnung von Erschließungsbeiträgen ein. 

Anlass der Anhörung war der Plan der Landesregierung, die erst im April 2022 eingeführten Fristen für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger wieder zurückzunehmen und teilweise zu verdoppeln. „Würde der neue Gesetzentwurf umgesetzt, müssten viele Wohneigentümerinnen und -eigentümer in NRW wieder mit teilweise existenzbedrohenden Beitragsforderungen für die Erstherstellung von Straßen aus dem letzten Jahrhundert rechnen. Der Gesetzgeber sollte seine Hausaufgaben machen und eine geeignete Fristenregelung für Altfälle verabschieden“, forderte der stellvertretende Vorsitzende des Verband Wohneigentum NRW, Michael Dröge, von den Politikerinnen und Politiker. Eine Aufzeichnung der Anhörung finden Sie unter folgendem Link.

Erschließungsbeiträge werden oft erst nach Jahrzehnten abgerechnet

Die Kosten für neue Straßen in Neubaugebieten müssen Städte den künftigen Anliegerinnen und Anliegern in Rechnung stellen – schließlich konnten sie durch die städtische Investition in den Straßenbau ihre Eigenheime errichten. „Häufig werden diese Erschließungsbeiträge aber erst nach vielen Jahrzehnten abgerechnet“, weiß Jan Koch, Referent für Landespolitik beim Verband Wohneigentum NRW. Das größte Problem in der Praxis: Wenn nicht alle Details der Bauplanung umgesetzt werden, gilt eine Straße in vielen Fällen nicht als „endgültig“ fertiggestellt – Erschließungsbeiträge können dann nicht abgerechnet werden. „Bei vielen Straßen aus dem letzten Jahrhundert ist das ein Problem“, berichtet Koch und ergänzt: „Die böse Überraschung trifft dann die ahnungslosen Zweit- oder Dritteigentümer der anliegenden Häuser, die das Geld für die 10.000 bis 30.000 Euro hohen Beiträge eigentlich für eine neue Heizungsanlage, die energetische Sanierung oder eine Photovoltaikanlage benötigen.“

Fristen erst im letzten Jahr verabschiedet

Bereits Anfang November 2021 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass Ersterschließungsbeiträge nicht mehr wie bisher üblich zeitlich unbegrenzt abgerechnet werden dürfen. Das „Gebot der Belastungsklarheit und ‑vorhersehbarkeit“ verlange, dass „Betroffene nicht dauerhaft im Unklaren gelassen werden, ob sie noch mit Belastungen rechnen müssen“, so das Urteil.

Im April 2022 – mitten im Wahlkampf – reagierte die Landesregierung schließlich auf das Gerichturteil und legte fest: Zehn Jahre nach der endgültigen Fertigstellung einer Straße ist Schluss. Hat die Kommune bis zu diesem Zeitpunkt die Beiträge nicht erhoben, verfällt ihr Anspruch. Weil aber gerade diese endgültige Fertigstellung oft bereits Jahrzehnte auf sich warten lässt, kam eine flankierende „Spatenstichregelung“ hinzu. Auch wenn nach dem Baubeginn mehr als 25 Jahren vergangen sind, erlischt demnach der Anspruch der Kommune auf Erschließungsbeiträge.

Doch die neue Landesregierung will davon nichts mehr wissen und hat einen neuen Gesetzesentwurf vorgelegt: Sie will die Fristen wieder verlängern und den Kommunen 20 Jahre nach „Eintritt der Vorteilslage“, also endgültiger Fertigstellung, für die Abrechnung der Beiträge Zeit lassen. Die wichtige Spatenstichregelung soll – wegen kompetenzrechtlicher Bedenken – komplett vom Tisch.

Verband vertritt Bürgerinnen und Bürger im Landtag

„Man hat die Probleme mit den Erschließungsbeiträgen bei Altfällen im letzten Jahr erkannt und für eine sinnvolle Lösung gesorgt. Leider wurde diese Lösung von der alten Landesregierung handwerklich schlecht umgesetzt. Das ist aber kein Grund dafür, die Fristen jetzt wieder zurückzunehmen und nicht für ausreichenden Ersatz zu sorgen. Weder die Verdoppelung der 10-Jahresfrist nach Fertigstellung noch die Rücknahme der 25-Jahresfrist ab Baubeginn wird den Problemen in der Praxis gerecht“, sagt Politikreferent Koch. Für die Verdoppelung der 10-Jahresfrist gebe es zudem nicht einmal einen begründeten Anlass.

Entsprechend kritisch äußerten sich die Sachverständigen des Verbands auch zu den neuen Plänen der Landesregierung in der Experten-Anhörung am 3. März 2023. Sie forderten die Politik auf, eine rechtssichere Regelung zu verabschieden, die den im vergangenen Jahr verabschiedeten Fristen in nichts nachstehen.

Endgültige Fertigstellung oft unklar

In seiner offiziellen Stellungnahme argumentiert der Verband Wohneigentum, dass durch die schwammige Begrifflichkeit des sogenannten „Eintritts der Vorteilslage“ für Beitragspflichtige nur schwer zu bestimmen ist, ab wann die Frist für die Beitragspflicht überhaupt zu laufen beginnt. Dementsprechend ist es für sie kaum möglich, die teils erheblichen Beiträge in die eigene finanzielle Situation einzuplanen. In der Realität trifft es regelmäßig Bürgerinnen und Bürger, die zur Zeit des tatsächlichen Straßenbaus nicht einmal geboren waren und erst viel später hinzugezogen sind. In den Genuss des eigentlichen Vorteils, nämlich die Neuerschließung eines vorher unbebaubaren Grundstücks, sind sie in Wirklichkeit nie persönlich gekommen. Und trotzdem werden sie genau dafür mit bis zu sechsstelligen Beitragsforderungen zur Kasse gebeten. „In der Praxis verfehlt der Erschließungsbeitrag deshalb immer wieder seinen Sinn“, meint Jan Koch.

Die vollständige Stellungnahme des Verband Wohneigentum NRW zum Gesetzesentwurf der Landesregierung finden sie hier.

Wie geht es nun weiter?

Der Ausschuss für Heimat und Kommunales wird die Anhörung der Sachverständigen in seiner Sitzung am 24. März 2023 auswerten. Michael Dröge hofft, dass die Landespolitik die geäußerten Bedenken ernst nimmt und ihren Gesetzentwurf noch einmal überarbeitet.