Rolle rückwärts: Land will wieder Endlos-Fristen für Erschließungsbeiträge Verband Wohneigentum kritisiert Landesregierung: „Ohne Rücksicht auf den Bürger“

Viele Bürger in NRW müssen zittern: Die NRW-Landesregierung plant, die erst im Juni 2022 eingeführten Fristen für Erschließungsbeiträge rückwirkend wieder zurückzunehmen. „Dieses Vorgehen ist ein Skandal. Wenn die Landesregierung das umsetzt, können die Kosten für den Neubau von Straßen auch 30 oder mehr Jahre nach Baubeginn noch auf die Bürger abgewälzt werden“, erklärt Peter Preuß, Vorsitzender des Verband Wohneigentum NRW. „Damit nimmt die Landesregierung ausschließlich Rücksicht auf die Einnahmen der Kommunen – die Bürger sind ihr offensichtlich egal“, kritisiert Preuß.

Baustelle mit Neubauten  © Verband Wohneigentum NRW e.V.
Erschließungsbeiträge werden häufig zur bösen Überraschung. Denn oft werden sie erst viele Jahrzehnte nach dem Bau der Straße fällig und treffen dann ahnungslose Eigentümerinnen und Eigentümer. 

Zum Hintergrund: Werden für ein Wohngebiet neue Straßen und Kanäle gebaut, tragen die Eigentümer der dortigen Immobilien die Herstellungskosten zu 90 Prozent. Die so anfallenden Gebühren – im Durchschnitt sind das zwischen 15.000 und 20.000 Euro – konnten die Kommunen bislang zeitlich unbegrenzt einfordern. Das führte oft zu absurden Situationen: 2013 sollten Düsseldorfer Bürger die Herstellungskosten einer Straße zahlen, die 1937 gebaut wurde. Die Stadt rechnete die Beträge von Reichsmark in Euro um – die Inflation kam obendrauf.

„Dass so irrsinnigen Fällen ein Riegel vorgeschoben werden muss, ist inzwischen zum Glück unstrittig – dafür brauchte es aber auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts“, erklärt Verbandschef Preuß. Genauso unstrittig sei, dass sich bauenden Eigentümer an den Herstellungskosten von Straßen in Neubaugebieten beteiligen sollen. Aber eben innerhalb eines planbaren Zeitraums – denn nur so könne man die Kosten auch vernünftig einplanen.

Erst im April 2022 wurden bürgerfreundliche Fristen eingeführt

Deshalb führte die alte Landesregierung erst im April 2022 Fristen für die Abrechnung der Erschließungsbeiträge ein. Ab Juni des Jahres sollten Städte die Beiträge in Altfällen maximal 20 Jahre, für jüngere Fälle spätestens zehn Jahre nach Fertigstellung abrechnen. Hinzu kam eine weitere, für Bürgerinnen und Bürger wichtige Frist: Grundsätzlich hatten die Kommunen für die Gebührenrechnung maximal 25 Jahre nach Baubeginn Zeit. „Denn häufig gelten Straßen über Jahrzehnte aus fadenscheinigen Gründen als nicht fertiggestellt. Hat man keine Frist, die auf den Baubeginn abzielt, ist der Willkür Tür und Tor geöffnet“, betont Preuß und ergänzt: „Auch die im April 2022 beschlossenen Fristen sind nicht kurz. Wenn es eine Kommune in 25 Jahren nicht schafft, eine Straße fertigzustellen und die anfallenden Gebühren abzurechnen, ist sie selbst schuld!“

Erschließungsbeiträge treffen viele Bürger unerwartet

Wie groß das Ausmaß dieser Fälle ist, verdeutlicht ein Beispiel: Die Stadt Hamm verschickte nach Bekanntwerden der neuen Frist für zehn Straßen Gebührenbescheide über insgesamt 4,5 Millionen Euro. Weil der Baubeginn über 25 Jahre zurückliegt, wäre die Frist sonst verstrichen.

Jetzt will die Landesregierung die Uhr zurückdrehen. Nach nicht einmal einem halben Jahr hat es sich der Gesetzgeber anders überlegt: Sie will die 10-Jahres-Frist nach Fertigstellung und die 25-Jahres-Frist nach Baubeginn streichen. Es bleibt allein die 20-Jahres-Frist nach Fertigstellung. „Die ist aber leider wenig wert, weil die Fertigstellung oft wegen Kleinigkeiten und Verzögerungen bei der Verwaltung in der Luft hängt. Das sind sehr schlechte Nachrichten für die Menschen in NRW – denn es geht hier um Gebühren mit einem Ausmaß, das z.B. die hoch umstrittenen Straßenausbaubeiträge übersteigt!“, sagt Preuß.