Die Abschaffung der Straßenbaubeiträge und die Notwendigkeit eines seriösen Finanzkonzepts

Die Diskussionen um die Abschaffung der Straßenbaubeiträge drehen sich derzeit in erster Linie um die Frage der hierbei für das Land entstehenden Kosten. Insbesondere die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände NRW fällt durch verzerrende und desinformierende Zahlendarstellungen auf.

Denn die von der Arbeitsgemeinschaft genannten Zahlen vergleichen die Kosten, die den Bürgern in der Vergangenheit auf der Basis eines Mitanteiles der Kommunen entstanden waren, mit den Zahlen des eigenen Wunschdenkens. Und zwar dahingehend, dass in Zukunft keinerlei Eigenanteil der Kommunen vorhanden wäre. Somit würden die Kommunen in übertriebenem Maß Straßensanierungen betreiben.
Nur so lässt sich erklären, dass die im Durchschnitt über mehrere Jahre ermittelten Kosten von ca. 130 Millionen Euro in NRW (entspricht 0,15 % des NRW-Landeshaushalts) mit angeblichen Beträgen für die Zukunft von bis zu 1 Milliarde Euro (immer noch nur rund ein Prozent des Landeshaushaltes) in Verbindung gebracht werden. Diese Zahlen entbehren jeglicher sachlichen Grundlage, was wir im Weiteren darlegen werden.

1. Grundlage der Zahlen des bisherigen Systems

Beim bisherigen System mussten sich die Kommunen nicht nur mit wechselnden Eigenanteilen in Abhängigkeit der Ausrichtung der Straße als Anliegerstraße, Haupterschließungsstraße etc. an den Kosten beteiligen. Sie hatten auch einen erheblichen Abrechnungsaufwand, um die im Rahmen der Rechnungslegung ermittelten Kosten auf die Bürger umzuwälzen.
So hat die Stadt Essen mitgeteilt, dass sie in einem Beispiel ca. 1,14 Millionen Euro über Straßenausbaubeiträge von den Bürgern eingenommen, jedoch auch 0,84 Millionen Euro für die Abrechnung nach dem alten System aufgewendet hatte. In der Netto-Betrachtung bedeutet dies, dass für die Verwendung im reinen Straßenausbau lediglich 0,3 Millionen Euro übrigblieben.
Ein effektives System sieht nach unserer Auffassung anders aus. Weiterhin ist zu beachten, dass aufgrund der Rechtsprechung, die sich zu den STRABS entwickelt hat, die Kommunen gezwungen waren, ein Sanierungskonzept durchzuführen, das im Mietwohnungsbau mit den negativ belegten „Luxussanierungen“ vergleichbar ist. Dieser Aspekt ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass gemäß § 8 Abs. 6 KAG NRW die Beiträge nach den Vorteilen zu bemessen sind, die eine zusammengefasste Gruppe von Beitragspflichtigen durch die Sanierung erhält. Naturgemäß stellt sich hier bereits die Frage, welchen echten Vorteil ein Anwohner von der sanierten Straße vor seinem Haus ziehen kann.
Hierbei ist zunächst zu beachten, welche Verbalakrobatik die Gerichte zur Definition des Begriffes „Vorteil“ über die Jahre hinweg entwickelt haben. So hat der ehemalige Vorsitzende Richter am BVerwG, Prof. Dr. Driehaus, in einem Aufsatz sehr präzise herausgestellt, dass der Vorteil im Beitragsrecht gerade nicht für den Anlieger in „Euro und Cent“ zu berechnen sei.
Die angesprochene Luxussanierung beinhaltet die Konsequenz der Definition der „verbesserten Wiederherstellung“, die nach § 8 Abs. 1 KHG NRW notwendig ist, um eine Überbürdung der Beiträge auf die Bürger auszulösen.
Am Beispiel eines Straßenkanals kann hier der Effekt einfach erläutert werden: Ist bisher in der Straße ein Abwasserkanal beispielsweise mit einem Durchmesser von 400 mm verbaut, dürfte die Kommune die Sanierungskosten nicht auf die Bürger überbürden, wenn ein gleich großer Kanal eingebaut wurde. Nahezu gezwungener Weise wird die entsprechende Kommune also mindestens einen Kanal mit einem Durchmesser von 500 mm verlegen, unabhängig davon, ob nach ihren Berechnungen der alte Durchmesser noch immer ausreichend wäre.
Dies führt hier also zu Mehrkosten, die nicht aus der Notwendigkeit der Technik heraus erklärbar sind, sondern allein auf dem Beitragsrecht fußen. Da in den vergangenen Jahren häufig der Wasserverbrauch in den Haushalten aufgrund der erheblichen Kostensteigerung gesenkt wurde, führen die Übergrößen der neuen Kanäle häufig dazu, dass die Kommunen im Sommer mit Trinkwasser die Kanäle spülen müssen, damit sie weiterhin ihre Ableitungsfunktion erfüllen können.
Hier entsteht also einerseits im Rahmen der STRABS ein erheblicher Kostenmehraufwand. Andererseits gibt es sogar Folgekosten für die Kommune, die diese wiederum aus eigenen Mitteln erbringen muss.
Den Mehraufwand durch derartige notwendige „verbesserte Wiederherstellungen“ schätzen wir als Verband Wohneigentum NRW e.V. bei einer sehr konservativen Berechnungsmethode auf eine Größe von 15 bis 20 %.
Dies zeigt also bereits, dass die für die Vergangenheit ermittelten Zahlen an zwei Problemen kranken. Einerseits steht den Kommunen effektiv nur ein Bruchteil der erhobenen Beiträge zur Verfügung, um tatsächlich Straßen auszubauen. Andererseits müssen die Kommunen Mehrkosten in Kauf nehmen, um die Überbürdung zu ermöglichen.

2. Anforderungen an ein neues Konzept

Nach unserer Auffassung dreht sich die momentane Diskussion nicht mehr allein darum, die Bürger von horrenden, existenzgefährdenden Gebührenforderungen zu entlasten. Die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände NRW versucht, ohne es explizit zu benennen, ein Konzept zu erstellen, bei dem die Kommunen vollständig von Straßenausbaubeiträgen entlastet werden.
Dies ist ein falscher und nicht notwendiger Weg.
Ein sinnvolles neues Finanzierungskonzept ist nur dadurch zu erreichen, dass den Kommunen ein Eigenanteil verbleibt, der Fehlanreize dahingehend verhindert, die Straßen ohne Rücksicht auf Wirtschaftlichkeit zu sanieren.
Der Lösungsansatz liegt darin, dass die Kommunen weiterhin ihren Aufwand für die Straßensanierung im laufenden Jahr ermitteln und zusammenfassen. Hierdurch entsteht bei den Kommunen keinerlei Mehraufwand. Im Wege der notwendigen Rechnungsprüfung der von den Unternehmen vorgelegten Rechnungen des Straßenausbaus ist die Kommune faktisch gezwungen, den Gesamtwert der Aufwände zu ermitteln. Diesen Aufwand zu addieren und in eine Excel-Tabelle einzugeben, die später dem Land zur Verfügung gestellt wird als Grundlage des im Folgenden dargestellten Berechnungsverfahrens, ist ein derart minimaler Aufwand, dass er nicht einmal rechnerisch zu ermitteln ist.
Wenn alle Kommunen in NRW so vorgehen, muss im Landeshaushalt lediglich dieser Betrag addiert werden und schon steht der tatsächlich im laufenden bzw. eher im abgelaufenen Jahr getätigte Aufwand zur Verfügung.

3. Wie sieht das neue Konzept aus?

Aufgrund einer Mustersatzung des Deutschen Städte- und Gemeindetages ist zum jetzigen Zeitpunkt ein Abrechnungsmuster in der Anwendung, mit dem für einzelne Kategorien von Straßen unterschiedliche Anteile der Anwohner festgelegt werden. In einem zweiten Schritt ist nun die Gesamtlänge der Straßen der jeweiligen Kategorien in der Gemeinde zu errechnen. Somit lässt sich mit einem einmaligen, überschaubaren Aufwand mit dem Blick in die Vergangenheit für die jeweilige Kommune ein Durchschnittssatz der Anliegerbeiträge über alle Stufen hinweg berechnen.
Dieser Durchschnittssatz wird zur Berechnung des Landesanteils angewendet. Da sich die Ausgangsstufen nicht mehr verändern sollen, ist dieser Durchschnittssatz für die Zukunft anwendbar. Lediglich neu errichtete Straßen müssten bewertet und in die Tabelle zur Ermittlung des Durchschnittssatzes eingearbeitet werden.
Es ist durchaus gerechtfertigt, hier eine Verteilung nach den Aufwänden der einzelnen Kommunen auf Landesebene durchzuführen. Insbesondere eine angemessene Verteilung zwischen den Kommunen ist so möglich. Der entstehende Abrechnungsaufwand wird nicht höher sein, als bei anderen Landesmitteln, die ebenfalls nicht „gießkannenmäßig“ auf Kommunen verteilt werden.
So ließe sich – ebenfalls mit einer simplen Excel-Tabelle – leicht errechnen, welchen Gesamtaufwand die Kommunen im Land NRW für ihre durchgeführten Straßensanierungen zu erhalten haben.
Im Rahmen der Haushaltsplanung könnte so bereits aus dem abgerufenen Betrag ermitteln werden, welche Haushaltsmittel in die Planung einbezogen werden müssen. Weiterhin könnte den Kommunen eine Vorabzahlung auf den so ermittelten Anteil zur Verfügung gestellt werden, damit diese nicht zu lang zu hohe Beiträge zwischenfinanzieren müssen. Im Gegenzug ließe sich eine Steuerungsfunktion mit der Folge der Nichtzahlung des Vorschussbetrages für das folgende Kalenderjahr verbinden, falls die Kommune ihre Nachweispflicht nicht erfüllt.
So wäre eine erhebliche Entlastung der Bürger erzielt, ohne dass eine Gefahr für den Landeshaushalt bestünde, horrende Straßenbaukosten zu finanzieren.

4. Beantwortung der mit diesem Konzept aufgeworfenen Fragen

a) Ist dieses Konzept effizient?

Ja. Dieses Konzept würde die Kommunen von erheblichen Kosten im Rahmen der Ermittlung der Beiträge für die Bürger entlasten. Wie bereits dargelegt, ist der Ermittlungsaufwand für das neue System ein sogenannter „Sowieso-Aufwand“, da der endgültige Rechnungsbetrag unabhängig von diesem System durch die Kommunen ermittelt werden muss.
Der größte Kostenaufwand nach dem bisherigen System fällt jedoch weg. Kein Mitarbeiter der Stadt muss ermitteln, welche tatsächlichen Grundstücksgrößen im Rahmen der Erschließungsanlage als beitragsfähig zu ermitteln sind. Kein Mitarbeiter muss aus Katasterplänen oder durch Ortsbegehung ermitteln, welche Geschosszahl vorhanden ist. Kein Mitarbeiter muss den erheblichen Abrechnungsaufwand ermitteln, einerseits den Durchschnittsbetrag zu erarbeiten, andererseits Hunderte einzelner Bescheide zu erstellen. In der Folge fallen auch Hunderte von Widersprüchen und Verfahren vor den Verwaltungsgerichten weg, die in der Vergangenheit gezeigt haben, dass weit mehr als 90 % der Bescheide im Bereich der STRABS fehlerhaft sind. Diese Zahlen beruhen auf den Erfahrungen der Vertragsanwälte des Verbandes Wohneigentum NRW e.V.
Die so eingesparten Beträge können zum vorgesehenen Zweck, der Sanierung von Straßen, eingesetzt werden. Die Kommunen können ohne Gesamtkostenmehraufwand mehr Straßen sanieren, als im alten oder nun von der NRW-Koalition vorgeschlagenen System möglich war bzw. sein wird.
Der dagegen stehende Mehraufwand für die Führung von einigen Excel-Tabellen und die Schaffung eines weiteren Haushaltspostens im Landeshaushalt ist dagegen so minimal, dass er vernachlässigbar ist.

b) Erhöht dieses System die Gerechtigkeit?

Ja. Während bisher bereits zu nicht unerheblichen Anteilen die Allgemeinheit unabhängig von der Nähe zu der sanierten Straße Kosten getragen hat und für den Fall der sogenannten wiederkehrenden Straßenbaubeiträge das System des direkten Bezuges zwischen Anlieger und Straßensanierung ausgehebelt wurde, trägt hier nun die Allgemeinheit unabhängig von der Art der Straße die Kosten der Instandhaltung. Dies ist auch gerecht. Der Anlieger einer Straße hat bereits im Rahmen der Ersterschließung sogenannte „Erschließungsbeiträge“ gezahlt, unabhängig ob er sie direkt oder über den im Kaufpreis eingerechneten Betrag entrichtet hat.
Für die Zukunft werden alle, die von der Existenz der Straße einen wirtschaftlichen Vorteil haben, für die Kostentragung herbeigezogen. Bei dem letztendlich steuerfinanzierten Konzept, das hier vorgeschlagen wird, trägt also auch der Unternehmer, der für die Anlieferung seines Heizöls, seiner Möbel etc. die Straße nutzt und auch die gesamte Logistikbranche, die bei der Straßennutzung in der Zwischenzeit nicht mehr zu vernachlässigen ist, die Kosten der Abnutzung der Straße. Dieses ist in besonderem Maße gerecht. Auch den Anliegern an viel genutzten Durchfahrtstraßen kommt insofern ein Vorteil zu. Dieses System bevorzugt also nicht eine einzelne Bevölkerungsgruppe.

c) Entstehen durch dieses System unüberschaubare Mehrkosten?

Nein. Wie bereits dargelegt, bleibt durch die Aufrechterhaltung eines gewissen Eigenanteils der Kommunen einerseits der Aspekt der Eigenverantwortlichkeit der Kommunen erhalten, so dass hier die Gefahr einer Explosion der Kosten in diesem Bereich vermieden wird.
Andererseits werden die Kommunen aber von erheblichen Mehrkosten und überflüssigen Baukosten so entlastet, dass bereits ohne einen finanziellen Mehraufwand am Ende des Tages mehr Straßen saniert werden können. Es entsteht eine „Win-Win-Situation“.

d) Bestehen Vorteile gegenüber dem vorgeschlagenen System der NRW-Koalition?

Ja. Das vorgeschlagene System erhält alle Schwächen des bisherigen Systems:

  • Die Luxussanierungen werden den Kommunen weiterhin aufgedrängt, so dass weiterhin zu wenige Straßen bei zu hohem Kostenaufwand erneuert werden können.
  • Der Abrechnungsaufwand bleibt in astronomischer Höhe (wie bereits am Beispiel der Stadt Essen erläutert, werden dort 72 % der Anwohneranteile für den Abrechnungsaufwand verbraucht)
  • Die Anwohner werden weiterhin mit erheblichen Beträgen überzogen. Errechnen sich nach dem alten System 15.000 Euro, so bleiben die angeblich verbleibenden 7.500 Euro noch immer eine spürbar einschränkende Belastung.

Die vorgeschlagene Regelung enthält zudem eine versteckte Kann-Regelung, die alle Sachverständigen in der Anhörung vom 07.06.2019 im Landtag NRW, erstaunlicherweise auch die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände NRW, ablehnen. Die Kommune soll „wählen“ können, ob sie sich dem neuen System anschließt oder im alten System verbleibt.
Betrachtet man diese Lösung genau, so werden sich unterschiedliche Belastungen für die Kommune ergeben, je nachdem, ob das alte oder neue System angewendet wird. Dies bedeutet aber in der korrekten Anwendung des Haushaltssicherungskonzeptes, dass in der Realität nicht alle Kommunen das neue System werden anwenden dürfen. Erhielte die Kommune bei Anwendung des alten Systems höherer Einnahmen von dritter Seite, so müsste die Kommune auf Anweisung der Aufsichtsbehörde dieses alte System anwenden und dürfte nicht zum neuen System wechseln. Tatsächlich werden gerade die Einwohner in finanziell schwachen Kommunen weiterhin in der alten Höhe mit Beiträgen belastet. Das Konzept der NRW-Koalition ist nicht zu Ende gedacht, ineffektiv und führt zu einer Steigerung der Ungleichbehandlung der Anwohner in Abhängigkeit des Wohnsitzes.

Fazit

Für uns ist nahezu unerklärlich, weshalb ein derartiges Finanzierungskonzept bisher in der gesamten politischen Diskussion nicht als Lösungsansatz in Betracht gezogen wurde.
Es ermöglicht die Entlastung der Bürger von existenzbedrohenden Beiträgen, den Kommunen ein Mehr an Straßenbau ohne Mehrkosten und stellt dem Land ein Rechenmodell zur Verfügung, das ohne erheblichen Mehraufwand systemgerecht in den Landeshaushalt einzubauen ist.
Solange man mit der Erfahrung in der tatsächlichen Arbeit des bisherigen Systems und den in Teilen nicht von der Hand zu weisenden Bedenken der politischen Seite auf Landesebene an die Gesamtsituation herangeht, ist dieses Konzept offensichtlich.
Allen voran versucht die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände NRW durch bewusst unkorrekte Darlegungen die Abschaffung der Straßenbaubeiträge und damit das Wohl der Bürger, dessen Interessen sie eigentlich zu vertreten hat, zu unterlaufen.
Dieses darf und kann keinen Erfolg haben.