Widerspruch gegen Bauprojekte

Sie müssen nicht jedes Bauvorhaben in Ihrer Nachbarschaft hinnehmen. Rechtsanwalt Stephan Dingler verrät Ihnen, wie Sie sich erfolgreich wehren können.

Baustelle der Geschäftsstelle Verband Wohneigentum NRW e.V.  © Verband Wohneigentum NRW e.V.
Bei Einwänden gegen Bauprojekte in der Nachbarschaft ist es wichtig, rechtzeitig zu reagieren. 

In vielen Wohnvierteln mit Ein- und Zweifamilienhäusern aus den 1950er und 1960er Jahren vollzieht sich ein Wandel. Da sich für manche Häuser kein neuer Eigentümer findet, kommen Investoren oder Bauträger ins Spiel. Sie kaufen die Immobilie, reißen ab und errichten oft Großobjekte mit sechs, acht oder mehr Wohneinheiten auf den meist großzügigen Grundstücken. Häufig fühlen sich Anwohner von diesen großen Gebäuden in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft gestört. „Oft wissen Anwohner gar nicht, dass sie etwas gegen den Bau solcher Mehrparteienhäuser unternehmen können“, sagt Stephan Dingler, Rechtsanwalt beim Verband Wohneigentum NRW e.V.
Es sind nicht immer nur die großen Neubauprojekte, die für Unmut sorgen. Manchmal sind es auch die kleinen Um- und Erweiterungsbauten des Nachbarn, gegen die es begründete Einwände gibt. Fakt ist: Man muss nicht alles akzeptieren, was einem vor die Nase gesetzt wird. Allerdings ist es wichtig, rechtzeitig zu reagieren.

Landesbauordnung gibt die Richtung vor

Die Widerspruchsrechte bei einer Baugenehmigung hängen von der jeweiligen Landesbauordnung ab. Baugenehmigungen werden im Bauordnungsrecht der einzelnen Bundesländer geregelt. Das bedeutet, innerhalb Deutschlands gibt es große Unterschiede. In Nordrhein-Westfalen gilt die Landesbauordnung NRW. Eine Baugenehmigung ist immer ein Verwaltungsakt, der dem Bauherrn die Ausführung des genehmigten Bauvorhabens gestattet.
Der Nachbar kann sich immer dann zur Wehr setzen, wenn eine Verletzung von nachbarschützenden und öffentlich-rechtlichen Vorschriften vorliegt. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn Abstandsflächenvorschriften nicht eingehalten werden. Liegt z. B. ein sogenannter Überbau vor – also ein Anbau ragt über die Grundstücksgrenze hinaus – kann unter Umständen auf die komplette Beseitigung geklagt werden. Der Überbau muss geduldet werden, wenn der Nachbar ohne Vorsatz und nicht grob fahrlässig gehandelt hat und Ihnen als Eigentümer nur geringfügige Beeinträchtigungen entstehen. Dann besteht Anspruch auf Entschädigung – beispielsweise in Form einer Geldrente.
Anlass zu Ärger geben immer wieder Mauern, die über die Grundstücksgrenze ragen – ebenso Dachaufbauten, die Licht nehmen.
Anders als im privaten Baurecht richtet sich der Einspruch im öffentlichen Baunachbarrecht nicht direkt gegen den Nachbarn, der ein Bauvorhaben verwirklichen möchte. Der Widerspruch richtet sich immer gegen die Baubehörde, die den Bauvorbescheid bzw. eine Baugenehmigung erteilt hat.

Beeinträchtigung der Gesundheit

Auch beim Bau von Garagen oder Stellplätzen muss immer darauf geachtet werden, dass weder die Gesundheit noch die Lebensqualität der Nachbarn durch Lärm und Abgase beeinträchtigt wird. Nach geltendem Recht kann der Nachbar eine Baugenehmigung anfechten, wenn ein Bauvorhaben durch sein Maß der Nutzung den Drittschutz nicht mehr gewährt. Dies gilt auch, wenn nebenan ein Gewerbebetrieb entstehen soll. Solch eine Bebauung ist in reinen Wohngebieten unzulässig. Alteingesessene Unternehmen genießen Bestandsschutz.

Widerspruch fristgerecht einlegen

Wurde eine Baugenehmigung erteilt, von der man als Nachbar in Kenntnis gesetzt wurde, kann bei berechtigten Zweifeln innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden. Dieser Widerspruch verpflichtet die Bezirksverwaltung zur Überprüfung der Genehmigung.
Gibt es keine Information über die Baugenehmigung, kann Widerspruch innerhalb eines Jahres eingelegt werden. Wichtig ist: Der Beginn von Bauarbeiten kann als erteilte Baugenehmigung gewertet werden. Der betroffene Nachbar verliert sein Widerspruchsrecht durch die sogenannte Verwirkung, wenn nicht fristgerecht Widerspruch eingelegt wurde. Ein Widerspruch bedeutet nicht automatisch das vorzeitige Ende der Bauarbeiten. Hierfür muss der Eilrechtschutz in Anspruch genommen werden. Der Nachbar stellt einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung. Erst dann ruhen die Bauarbeiten, bis die Rechtslage geklärt wurde.
Meist läuft es so ab, dass der Nachbar Ihnen ein Formular für eine sogenannte Nachbar-Unterschrift vorlegt. Mit dieser Unterschrift wird dem Bauamt mitgeteilt, dass die Bauunterlagen gesehen und fachkundig studiert wurden. Weiter wird mit der Unterschrift bestätigt, dass keine Einwände gegen das Bauvorhaben in der vorliegenden Fassung bestehen. Wird die Unterschrift verweigert, wahrt man seine Rechte, später gegen die Baugenehmigung vorgehen zu können. „Für Laien ist es oft schwierig, Bauunterlagen richtig zu lesen. Besser ist es, Sie holen sich vor der Unterschrift immer fachkundigen Rat ein. Der Verband Wohneigentum NRW e.V. berät gerne“, sagt Stephan Dingler. Reagiert die zuständige Behörde nicht innerhalb von drei Monaten auf den Widerspruch, kann der Nachbar eine Untätigkeitsklage einreichen. Diese verpflichtet die Behörde zu einer Entscheidung.

Widerspruch bei bestehenden Gebäuden

Selbst bei einem bereits errichteten Gebäude gibt es Möglichkeiten, Einspruch einzulegen. Sollte ein Gebäude beispielsweise baurechtswidrig errichtet worden sein, kann der Nachbar eine behördliche Verfügung erwirken. Durch sie erfolgt eine Stilllegung der Baustelle. Gründe hierfür können die Nichteinhaltung von Brandschutzvorschriften sein oder wenn die Nutzungsart nicht in das vorhandene Baugebiet passt, wie zum Beispiel eine Diskothek in einem Wohngebiet.
Viel gravierender sind meist die großen Bauvorhaben, wie ein Mehrparteienhaus, das anstelle eines Einfamilienhauses errichtet wird. Aufgrund seiner Nutzung ist solch ein großes Gebäude grundsätzlich in einem Wohngebiet zulässig. Doch störend sind meist die großen Ausmaße des Gebäudes. Dagegen können Nachbarn erfolgversprechend vorgehen. Eine Begründung ist das abgeleitete Gebot der Rücksichtnahme. Dies trifft beispielsweise dann zu, wenn durch das Nachbarbauvorhaben auf dem eigenen Grundstück ein Gefühl der Enge entsteht.
Besteht die Vermutung eines rechtswidrigen Bauvorhabens, sollte immer so früh wie möglich vorgegangen werden. Unter bestimmten Umständen sehen viele Landesbauordnungen die Beteiligung der Nachbarn in einem Baugenehmigungsverfahren vor, doch vielfach erfolgt solch eine Nachbarbeteiligung nicht. Idealerweise erkundigen sich Betroffene selbst frühzeitig über Planungen auf dem Nachbargrundstück und beantragen Akteneinsicht bei der Behörde. Informationen über die Vorgehensweise gibt es bei der kommunalen Bauaufsichtsbehörde der jeweiligen Stadt.
Wurde ein Bauvorbescheid bzw. eine Baugenehmigung bereits erlassen, kann eine sogenannte „Drittanfechtungsklage“ vor dem zuständigen Verwaltungsgericht erhoben werden. Eine Drittanfechtungsklage bzw. ein Drittanfechtungswiderspruch hat gemäß § 212 a BauGB keine aufschiebende Wirkung.
Es ist gar nicht so selten, dass Bauprojekte zum Stillstand kommen. Fast immer sind Widersprüche von Eigentümern benachbarter Grundstücke gegen die Baugenehmigung dafür verantwortlich.