Update Dezember 2023: Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der neuen Grundsteuer
Schon seitdem feststeht, wie die neue Grundsteuer im sogenannten Bundesmodell berechnet werden soll, gibt es Kritik an diesem Verfahren. Viele halten das Bewertungsmodell, das in den meisten Bundesländern angewandt wird, für verfassungswidrig.
Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat am 23. November 2023 zwei Beschlüsse (4 V 1295/23 und 4 V 1429/23) gefasst, in denen das Gericht viele Argumente der Kritiker teilt und in ungewöhnlich scharfem Ton feststellt, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der zwei überprüften Bescheide sowie der Verfassungsmäßigkeit der gesamten Bewertungsregeln bestünden.
Es befürchtet, dass aufgrund der vielen Typisierungen und Pauschalierungen Verzerrungen in der Bewertung auftreten würden. In den zwei überprüften Fällen seien die individuellen Umstände der Grundstücke „nahezu vollständig“ vernachlässigt worden. Die Kläger richteten sich in diesen Fällen konkret gegen den pauschalen Ansatz der Bodenrichtwerte sowie die typisierten Nettokaltmieten.
Das Finanzgericht bezweifelte speziell bei den überprüften Fällen, dass die Bodenrichtwerte rechtmäßig zustande gekommen seien. Es erkannte aber auch ganz generell ein „gleichheitswidriges Vollzugsdefizit“ bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte. Zudem beanstandete das Gericht, dass Steuerpflichtige keine Abweichung vom typisierten Grundsteuerwert nadhweisen könnten.
Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat nun die Beschwerde vor dem Bundesfinanzhof zugelassen. Damit eröffnet das Gericht erstmals seit Start der Grundsteuerreform den Weg zu einer höchstrichterliche Überprüfung. Hier lesen Sie die vollständige Mitteilung des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz zu den entsprechenden Beschlüssen.
Einsprüche, die sich auf verfassungsrechtliche Zweifel an den Bewertungsregeln beziehen, können sich auf diese Entscheidungen des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz beziehen. Formal müssen diese Einsrüche allerdings erst dann von den Finanzämtern ruhend gestellt werden, wenn Verfahren vor dem Bundesfinanzhof oder dem Bundesverfassungsgericht anhängig sind. Aktuell werden solche Einsprüche in NRW dem Vernehmen nach aber zumindest nicht weiter bearbeitet, bis es eine Überprüfung vor dem Bundesverfassungsgericht gibt. Es erfolgt also ein informelles Ruhen der Einsprüche.
Auch in die vom Bund der Steuerzahler sowie Haus & Grund begleiteten Musterklagen kommt nach langem Stillstand langsam Bewegung. Denn zwei von den Verbänden begleitete Eigentümer konnten nun in Berlin und Rheinland-Pfalz Klagen vor den zuständigen Finanzgerichten einreichen. Die Verfahren werden unter den Aktenzeichen 3 K 3142/23 (Finanzgericht Berlin-Brandenburg) und 4 K 1205/23 (Finanzgericht Rheinland-Pfalz) geführt. In beiden Verfahren wird die Höhe der für die Bewertung angesetzten Kaltmieten kritisiert. Im Berliner Klageverfahren geht es um eine vermietete Eigentumswohnung, im rheinland-pfälzischen Verfahren um ein vermietetes Einfamilienhaus. Im letzten Fall wurde der Vermieterin in einem Verfahren sogar unter Zuhilfenahme zweier Gutachten untersagt, eine Miete in der für die Grundsteuerbewertung angesetzten Höhe zu verlangen.
In beiden Verfahren wird auch die Anwendung der Bodenrichtwerte kritisiert. Die Kläger argumentieren, es komme bei den Bodenrichtwerten zu systematischen Bewertungslücken – z.B. dann, wenn für besondere Merkmale eines Grundstücks passende Bodenrichtwerte fehlen.
Bereits im April 2023 kam durch ein Gutachten des Verfassungsrechtlers Prof. Dr. Gregor Kirchhof neuer Wind in die Debatte. In dem Gutachten, das der Bund der Steuerzahler sowie Haus & Grund in Auftrag gegeben haben, wird unter anderem der Ansatz der Bodenrichtwerte, die Verwendung der pauschalen Nettokaltmieten, die fehlende Berücksichtigung individueller Grundstücksmerkmale oder die Unklarheit über die spätere Höhe der zu zahlenden Grundsteuer beanstandet.
Wichtig ist auch: Die Musterklagen richten sich gegen das Bewertungsmodell und damit gegen den Verteilungsmaßstab für die Grundsteuer. Sind die Klagen erfolgreich, führt das zu erneuten Verschiebungen bei diesem Verteilungsmaßstab, von denen einige Eigentümerinnen und Eigentümer profitieren, andere aber auch Nachteile haben würden. Viel wichtiger: Was zunächst wie eine gute Nachricht für alle Steuerpflichtigen klingt, kann am Ende auch negative Folgen haben. Sollte das bestehende Bundesmodell höchstrichterlich gekippt werden, bleibt die Frage nach den politischen Schlussfolgerungen. Dass man ein genaueres und damit womöglich noch komplexeres Bewertungsmodell für die Verteilung der Grundsteuer einführt, erscheint wenig realistisch. Die Folge könnte also sein: Die Grundsteuer wird noch pauschaler verteilt – z.B. mit einem Flächenmodell.
Damit hätte man zwar weniger Bürokratie – gerade für Eigentümer von älteren Häusern kann das aber zum Nachteil werden. Es bleibt also spannend.
Übrigens: Damit die Grundsteuerreform die Kosten für’s Wohnen nicht generell in die Höhe treibt, sind die kommunalen Hebesätze noch einmal wichtiger als das Bewertungsmodell. Deshalb haben wir uns an alle Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in NRW gewandt und sie dazu aufgefordert, sich zur aufkommensneutralen Umsetzung der Grundsteuerreform zu bekennen. Außerdem fordert der Verband Wohneigentum NRW, die Steuermesszahlen für Wohngebäude zu senken. Denn aktuell mehren sich die Befürchtungen, dass es im Zuge der Grundsteuerreform zu einer massiven Kostenverschiebung zu Lasten von Wohngrundstücken und zugunsten von Gewerbeimmobilien kommt. Wir fordern deshalb: Die Grundsteuerreform darf nicht dazu führen, dass Wohnen noch einmal teurer wird. Es wäre fatal, wenn Mieter und Wohneigentümer die Zeche für die neue Grundsteuer zahlen müssen.